Performativer Streifzug durch die Promenade mit Susanne Soldan
26.10.23 Auf Lückensuche waren im September die Jugendlichen der Schreibwerkstatt in der Mark-Twain-Bibliothek. Was es damit auf sich hatte, kann die Leiterin der Schreibwerkstatt Renate Zimmermann wohl am besten beschreiben. Im Folgenden ihr Blogbeitrag:
September 2023. Ein Tag, mit dessen Programm man auch ein ganzes Wochenende füllen könnte. Drei Ereignisse locken die Menschen in die Mark-Twain-Bibliothek:
- Schreibwerkstatt für Jugendliche wie jeden ersten Samstag im Monat
- “Stadteinschreibungen” – ein performativer Streifzug durch die Marzahner Promenade mit Susanne Sodan
- Kultursommerfestival der Berliner Bibliotheken mit dem Theater Feuervogel und Sonny Thet
Letztere zeigen im Hof des Freizeitforums eine beeindruckende Fantasy-Show mit romantischer Musik, Nebel, tollen Kostümen, Stelzenlauf und dem verträumten Cello-Spiel von Sonny Thet.
Die Schreibwerkstattinteressierten treffen sich wie gewohnt zwei Etagen höher in der Artothek.
Mit am reichgedeckten Tisch sitzt unser Gast Susanne Soldan, die uns heute zu einem ungewöhnlichen Spaziergang über die Marzahner Promenade eingeladen hat.
Zunächst aber gibts nach der Vorstellungsrunde erst einmal Geschenke für die Geburtstagskinder des vergangenen Monats.
Es folgt eine sehr beliebte Aufwärmübung zur Lockerung der Synapsen in der kreativen Ecke unserer Köpfe: das Umknick-Schreibspiel.
Dabei entstehen zwangsläufig ziemlich schräge Nonsens-Sätze, die aber auch oft sehr lustig sind und die ohnehin gelöste Stimmung beflügeln.
Ein guter Zeitpunkt, um uns auf den Weg zu machen, die Marzahner Promenade mal mit anderen Augen, aus ungewohnter Perspektive und vor allem stumm neu zu entdecken.
Nach einer kurzen Einweisung in die “Spielregeln” durch Susanne gehts dann auch schon los. Der Fokus liegt auf Lücken jeglicher Art.
Wir strömen in verschiedene Richtungen aus, finden wieder zusammen, beobachten uns gegenseitig und werden beobachtet, mäandern hin und her, umarmen Bäume und klettern darauf rum, befühlen Erde, Pflanzen und Fassaden, pulen in Spalten und Ritzen, ohne zu wissen, was uns dort erwartet, setzen und legen uns ins Gras und auf Beton, kriechen unter Werbeschilder und Geländer, üben uns in fließenden und synchronen Bewegungen, schaukeln, verstecken und drehen uns.
Alles ist möglich, anfängliche Befangenheit fällt von uns ab, wir werden mutiger, unbeschwerter, neugieriger, aufmerksamer, ruhiger, fühlen uns in der Gruppe zusammengehörig und beschützt.
Wir spüren den Einfluss der Umgebung auf uns und lassen es zu, nehmen das Zusammenspiel von Elementen der Stadtlandschaft wahr, von Architektur, Grün- und Spielanlagen.
Seit Jahren laufe ich fast täglich hier entlang, doch noch nie ist mir aufgefallen, dass die Wörter auf den im Boden eingelassenen Bronzeplatten in einem Zusammenhang mit den sich drehenden Bänken stehen. Sitzt man kreisend darauf, macht plötzlich alles Sinn:
Auch Renate Zimmermann fand manche Lücke - hier im Pflaster der Promenade.
Haben Bäume auch Lücken? Mal kucken. Fotos: Uta Baranovskyy
Ost | Süd | West | Nord
Trauer | Wut | Ruhe | Freude
Feuer | Wasser | Erde | Luft
Ich fühle mich auf wundersame Art geerdet, genordet und ruhig.
Um mich herum ganz besondere Menschen, die sich wie ich auf dieses Experiment eingelassen haben und meine Augen durch ihre Bewegungen auf Dinge richten, die ich so noch nie gesehen habe.
Das meiste macht plötzlich Sinn.
Manches wirft Fragen auf. Warum gibt es auf dem Platz so eine Art Schienen, die in das Pflaster eingelassen sind? Was hat es mit den Blutspuren auf sich, die uns allen aufgefallen sind?
Auf den Gullideckeln sind Berliner Wahrzeichen abgebildet.
Den Fernsehturm, die Siegessäule, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, das Olympiastadion, das Brandenburger Tor und den Reichstag habe ich erkannt, aber das Bundeskanzleramt nicht. Wieder was dazugelernt.
Erstaunlicherweise wundert sich kaum jemand über unser seltsames Verhalten, nur ein paar Männer am Tisch vor einer Kneipe beobachten uns mit gelassenem Interesse.
Schneller als gedacht ist eine Stunde vergangen und wir laufen, unseren Gedanken nachhängend zurück zur Bibliothek. Dort verarbeiten wir schreibend unsere Eindrücke. Die Ergebnisse sind beeindruckend.
Ganz herzlichen Dank an Susanne Soldan! Dieser Nachmittag hat uns alle an Erfahrungen reicher gemacht!
Aufgeschriebene Eindrücke des Performativen Streifzugs durch die Marzahner Promenade
Wasser und Bäume
Bäume, wer mag schon Bäume?
Sie sind groß und dumm und hart im Leben, morschig im Tod. Mehr gibt es dazu nicht zu
sagen. Außer – man schaut genauer hin.
Setzt man sich zu ihnen, in Ruhe, lernt man kennen, wem man den Sauerstoff verdankt.
Die Bäume in Berlin sind Gefangene. Grüne Inseln inmitten einer Betonwüste. Naja, sie sind
gewillt, so einiges zu erzählen, wenn man zuhört. Allerdings sind sie meistens etwas
wortkarg. Sie erzählen eben nur das Nötigste, geben nur das preis, was sie möchten, und
behalten den Rest für sich.
Und vielleicht ist das auch besser so.
Ich habe auch dem Wasser zugehört. Wasser ist anders. Wenn es einmal losgelassen wurde,
ist es nicht mehr aufzuhalten, und Gespräche mit ihm sind eine wahre Flut an Informationen.
Die Geschichten sprudeln nur so heraus. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Gerücht sind
fließend. Meistens ist es nur ein Tropfen purer Wahrheit in einem Meer aus erfundenen
Wahrheiten.
Denn ein Strom von Ideen durchfließt die Fantasie des Wassers.
(Eddie Neumann)
Like a small boat in the ocean
Lies it on the ground
Like Hansel and Gretel
Lost in the world
Wanted from no one
Forgotten in the dust
Blood spilled on the floor
Without a victim
There is no crime
But what about the witness
Who is to blame?
Path ahead
Carved in stone
Looking up
Everybody falls in love
Like the bird
Dead in the grass
(Henriette Sitterlee)
Ich habe an einer Blume gerochen. Ich glaube, ein Hund hat drauf gepisst.
Und ich habe mit einem Opa Langbein gespielt.
Beides habe ich nicht mehr gemacht, seit ich 13 war. Als ich in die Pubertät kam, rwachsen wurde und
die erwachsene Norm annehmen musste. Wo es ein Fehler ist, mit Spinnen zu spielen.
Ich habe meinen Latschen aufs Wasser gelassen und ihn treiben lassen. Ich wollte ihn weitertreiben
lassen. Doch ich hatte Angst, dass er zu weit treibt und ich ihm mit nur einem Schuh hinterherlaufen
müsste. Vielleicht hätte ich meine Kameraden um Hilfe bitten müssen. Doch dann hätte ich ihnen
erklären müssen, dass ich meinen Schuh auf dem Wasser wegtreiben lassen habe. Ich hätte ihnen
erklären müssen, dass ich ein Fehler begangen hatte. Das wäre ein Fehler. Ich habe eine Biene 20 min
lang beobachtet. Sie war wunderschön. Normalerweise hätte ich sie nicht gesehen. Weil ich immer
nur rausgehe mit einem Ziel. Grade war mein Ziel, kein Ziel zu haben. Für mich war das immer ein
Fehler. Doch ohne den Fehler hätte ich die schöne Biene nicht entdeckt.
Ich denke, ich muss aufhören, die Bedürfnisse meines inneren Kindes als Fehler anzusehen.
(Lilly Vandam)
Ich höre lila Blumen lachen
Lieblingsfarbe lila, wie die schönsten Blumen,
Schokolade war dein Lieblingskuchen.
Wir waren so frei wie die Wolken im Blau,
an dein Lachen erinner´ ich mich noch ganz genau.
Trotz all dem Streit oder gerade deswegen,
so standhaft wie alle Steine die Geschichten erzählen.
Wir waren so gleich und trotzdem so verschieden,
wie die Häuser, die die Wege schmücken,
nirgends gibts nichts, tausend Lücken.
Egal wo ich bin, egal mit wem, wo mein Blick etwas streift und mein Körper Berührung erfährt, ob
nachts oder bei Tageslicht,
ich sehe dich und nur nur dich:
In den Blumen, im Himmel, jedes Gerüst, es scheint, als hätten alle Wolken dein Gesicht,
als wäre es jeder, der deine Worte spricht.
Die Welt bietet mir viel, doch trotzdem will ich nur zu dir.
Du bist so fern, dennoch so nah,
auch wenn nichts mehr ist, wie es mal war.
Jeder Klang, jedes Lied, erinnert mich an dich und wie sehr ich dich lieb‘.
Ich könnt am schönsten Ort der Welt sein,
doch trotzdem stört es mein Lächeln,
denn egal mit wie vielen oder wo ich bin,
ohne dich bin ganz allein.
Ich hab dich weggeschickt und du bist gegangen,
seit diesem Tag bin ich gefangen.
Zurückdrehen kann man die Zeit leider nicht,
doch sei dir bewusst, in einem Raum voller Menschen wähl ich dich.
(Nele Bosse)