Das Erste, was mich an jenem Morgen begrüßte...
25.12.24 Wie schon in den vergangenen Tagen gibt es hier in den Feiertagen kleinen Geschichten von Mitgliedern der Schreibwerkstatt für Jugendliche in der Mark-Twain-Bibliothek.
Wintermorgen
Das Erste, was mich an jenem Morgen begrüßte, waren die kristallklaren Blüten, die sich um die Ränder des kleinen Zimmerfensters rankten.
Ich trat näher, doch bevor ich sie vollständig bewundern konnte, wurden sie von meinem Atem in Nebel gehüllt.
Enttäuscht säuberte ich die beschlagenen Fenster mit dem Ärmel meines Schlafanzugs und wandte mich dem abgenutzten Kleiderschrank zu. Lange Hosen, dicke Socken und der hässliche Pullover aus dem Second-Hand-Laden, an dem ich irgendwie trotzdem Gefallen fand.
Er kratzte ein bisschen, aber mittlerweile gehörte das zu Weihnachtspullovern dazu. Mit dem dümmlich grinsenden Rentier auf der Brust sah ich, trotz der zotteligen Haare, auch schon gleich viel aufgeschlossener aus.
Vorsichtig kletterte ich die schmale Treppe herunter und schlitterte auf dem Holzboden die letzten Meter zur Küche.
Ich sandte zwei Brotscheiben auf ihren Weg in den Toaster, warf ein Ei in die Pfanne, ein zweites daneben und griff dann zum Wischlappen.
Ich streichelte die Katze, griff nach Marmelade und Leckerlis, ließ den Stubentiger neben mir Schlemmen.
Eigentlich hatte ich Lust auf warme Suppe, kompensierte dann aber mit heißem Pfefferminztee mit Honig.
Vermutlich war es das Wärmste, was ich für die nächsten drei Stunden spüren würde. Selbst die dicksten Mäntel halfen nicht immer gegen die Wintermonate und den Bus konnte ich bei den spiegelblanken Straßen nicht nutzen.
Aber ich hatte nur heute Zeit, um die Liste am Kühlschrank abzuarbeiten. Last Minute Geschenke und so - da kam der Black Friday gerade recht. Das dachte ich, als ich das Geschirr in das Waschbecken stellte - abwaschen kann ich es ja nachher - und mein verschlafenes Gesicht im Badezimmer schnell auf Vordermann brachte.
Aber nur von Stirn bis Nase - mein Kinn wurde sowieso vom grell orangenen Wollschal verdeckt. Die Tür ächzte und weigerte sich kurz, wieder ins Schloss zu fallen. Die Morgenluft schlug mir entgegen und kroch sofort unter meine Haut. Ich schüttelte mich kurz und ließ den Haustürschlüssel in meinem Rucksack verschwinden.
Ein Schritt von der obersten Treppenstufe wurde fast zum Sprung in die Tiefe, wäre da nicht das Geländer gewesen. Ich machte mir die Notiz, Salz zu streuen, bevor wirklich jemand ausrutscht und sich die Versicherung Gehör verschafft.
Mein Atem zog in kleinen Wölkchen an mir vorbei. Er verschwand, Hand in Hand mit der Luft, die an den funkelnden Bäumen am Straßenrand zupfte. Die Schaufenster der kleinen Mall spiegelten ihr Umfeld wider. Nicht nur die kitschigen Dekor-Artikel, sondern auch die Sträucher und Dächer gegenüber waren gänzlich in glitzerndes Weiß gehüllt.
Als ich durch die heruntergekommene Drehtür trat, wurde ich daran erinnert, dass ich meine Handschuhe vergessen hatte - meine Hände waren rot und brannten, obwohl der Rest meines Körpers die klimatisierte Halle erleichtert willkommen hieß. Doch der Schmerz war schnell vergessen, als ich Weihnachtsglöckchen hörte und eine mechanisch verzerrte, monotone Frauenstimme ankündigte, dass alle saisonale Artikel heute auf bis zu 70% reduziert waren.
Und als ich euphorisch auf das nächstbeste Schaufenster zu rannte, dachte ich an jenen friedlichen Wintermorgen zurück.
Von Vivienne Pabst