DIE BURG - Geboren aus Asche

Ich spüre an meinen Fingern die blutigen des Mädchens


26.01.25 Auch in diesem Jahr veröffentlichen wir wieder in den ersten Wochen des Jahres immer sonntags die ersten Kapitel aus dem neuen Buch der Schreibwerkstatt für Jugendliche der Mark-Twain-Bibliothek. 

Geboren aus Asche

Von Johanna Föhlisch

Meine Augenlider flackern. Ich sehe die rußigen Flammen, die immer näherkommen. Langsam und bedrohlich schnappen sie nach meinem Kleid. Ich will gegen das böse Gelächter um mich herum anschreien, doch meine Lunge ist voller Rauch. Das Mädchen auf der anderen Seite des Stocks schreit auf. Sie muss ein Mädchen aus dem Dorf sein, mit dem ich nun ein Schicksal und eine Bestrafung zu teilen scheine. Ich spüre ihre Tränen, als wären es meine eigenen. Vielleicht sind sie es auch, vielleicht weint sie für uns beide, vielleicht weinen wir zusammen. Ich starte den Versuch, durch die Schmerzen zu atmen und sogleich spüre ich den peitschenden Schmerz in meiner Brust. Ich spüre an meinen Fingern die blutigen des Mädchens. Immer noch schreit und weint sie und erhellt somit die Nacht ebenso wie das heiße Feuer, an das wir beide gefesselt sind. Meine Finger zucken unter der Berührung. Plötzlich verstummt sie. Auch ihre Finger zucken nun. Wie es mit den Fesseln möglich ist, umklammert sie meine Finger. Ich vernehme noch ein Schluchzen.

Irgendwann spüre ich, wie der Druck ihrer Finger nach und nach weniger wird und schließlich verschwindet. In meinem Kopf weiß ich, was das bedeutet, doch wahrhaben will ich es noch nicht. Ein kalter Schauer legt sich über meine Schultern und jagt mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Rasch schüttle ich die Gänsehaut genau wie den bitteren Gedanken von mir ab und spanne meine Schultern unter den beißenden Flammen und Blicken an. Meine Gedanken laufen weiter wild in einer Spirale umher. „Wie lange muss ich diese Qual noch aushalten? Lächelt dieser Blödmann da gerade wirklich hinter den Flammen? War das sein Plan? Hat er nur nach einer Möglichkeit gesucht, mich öffentlich zu quälen und zu demütigen?  Doch wie war es nur dazu gekommen?“ Bei dem Gedanken verstummt das Chaos abrupt. Wie der letzte Schlag in einem Kampf, der alles zum Schweigen bringt.
Mein Kopf wird heißer und beginnt mir Bilder von den letzten Momenten in meinem Leben zu zeigen.

Nur wenige Monate, Wochen, Stunden war ich die Gemahlin des Nichtsnutzes von König gewesen. Bei dem Gedanken an ihn rümpft sich meine Nase. Vielleicht liegt das aber auch an dem Geruch des Rauches, verbrannter Kleidung und Haaren. Als die Erinnerungen in Form von Bildern wieder vor meinem inneren Auge aufflackern und sich so fast mit dem Gesicht der heißen Flammen vermischt, vergesse ich für einen Moment die Schreie der Meute, die immer wieder „Hexe!“ und „Verbrennt die Verräterin!“ grölen.

Immer war ich die schöne Ehefrau an der Seite des starken Königs gewesen. Immer war ich seine ansehnliche Trophäe gewesen. Seine zerstörerischen Pläne für sein Königreich still verurteilend, saß ich neben ihm. Niemals könnte er die Welt durch die Augen eines einfachen Bürgers sehen oder derartige Empathie empfinden. Er würde die Welt immer nur von oben herab sehen und nicht von unten. Niemals würde er ein guter, weiser König sein. Das wussten seine Berater, sein Volk und vor allem ich.

Ich wusste, als ich in dieses Königreich geflüchtet war, dass ich nicht lange bleiben konnte. So war es schon mein ganzes Leben gewesen. „Frauen wie wir werden immer verfolgt. So war es schon immer und daran wird auch keine Zeit oder eine noch so starke Kraft etwas ändern können“, hallen die Worte meiner Mutter in meinem Kopf. Oder war es doch meine Großmutter oder deren Mutter?

War es eine meiner Tanten? Genau kann ich es nicht sagen. Als der König mich dann bei der edlen Jagd höchstpersönlich auflas, mich, das Kind aus den Wäldern, verloren und allein, so verführerisch, dass er mich heiraten wollte. Mich. Nicht eine seiner Mätressen. Nicht einmal jene, mit der er bereits drei Kinder hatte. Nein, mich, die blauäugige, mysteriöse Frau aus dem Wald.

Die Geschichte, in der er als Retter in der Not porträtiert war, gefiel ihm anscheinend etwas zu gut. Ich war damals nur erleichtert gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass ich wilde Kräuter sammelte. Sonst wäre ich wohl schon damals ein schönes Ziel in einer anderen Jagd gewesen. Die Geschichte von dem König, der doch so viel Nächstenliebe empfindet und ein mittelloses Ding heiratet, das in der Gesellschaft schon fast eine alte Jungfer war, sprach sich schnell im ganzen Land herum. Jedes Mal musste ich schmunzeln bei dieser lügenreichen Geschichte. Genauso schnell war ich jedoch auch verheiratet und eine Trophäe von Ehefrau geworden, der die Mätressen dann doch vorgezogen wurden.

Die Geschichten und Gerüchte über eine Königin, die nicht rein und blaublütig genug war, oder über eine Königin, die ihrem Gatten einfach keinen Erben schenken kann, obwohl sie alles dafür tut, boten mir in der Eintönigkeit in der Rolle der frommen Ehefrau eine famose Unterhaltung. Niemals wollte ich in dieser Position sein. Eine Wahl gab es nicht, wenn ich meinen Kopf behalten wollte.

Jetzt jedoch musste ich meine neue Stellung und auch den König, der alles über sein Reich zu wissen schien, benutzen. Doch niemals hat er bemerkt, wie meine Hand auf seiner Krone lag. Während ich die Blutspuren verschmähter Bündnisse aufwischte, griff ich schließlich nach seiner Krone. Am Anfang nur ganz sacht, so, dass er es gar nicht zu bemerken schien. Somit war ich es jedoch, die seine Aufgaben tätigte und sich um die anstehenden Angelegenheiten kümmerte. Einen Floh in das Ohr eines Beraters zu setzen, der von sich aus Zweifel hegte, war ein einfaches Spiel.

Neue Denkansätze und Vorschläge förmlich zu errichten und deren Umsetzung zu sehen, beflügelten mich, mein Spiel fortzusetzen. Genau wie Zahlen zu vertauschen, die dann doch das Überleben von Bauern sicherten und nicht komplett zunichtemachten. Es war, als würde ein Kind mit Puppen spielen – zu einfach. Ganze Dokumente aufsetzen zu lassen und Entscheidungen über Abkommen oder soziale Projekte zu treffen, wie die Förderung von Klöstern, die Frauen wie mich aufnehmen würden, waren für mich ein Leichtes.

Immer lebte ich im Schatten. Und hier als Königin sollte es nun weiter gehen. Doch war hier der Schatten weniger erdig und blutrünstig wie zuvor, sondern voller Intrigen. Während ich die brave Gemahlin spielte, wurde ich eins mit der kalten dreckigen Burg, kannte jede Ecke, jeden Winkel in und auswendig und hatte meine Augen und Ohren überall und bei jedem. Jedes Gerücht, jede Theorie, jede Verschwörung nutzte ich für mich. Jede Wahrheit, die darunter verborgen war, verwendete ich für mich und meine Pläne für das Königreich.

Und das Spiel, ein Gerücht in das Ohr einer Person mit Einfluss zu setzen und die routinierten weiteren Schritte, nahm seinen eigenen Lauf. Die Leichtigkeit eines solch gefährlichen Spiels war beinahe angsteinflößend. Als ich Dinge überspitzte oder runterspielte, spürte ich die Fäden der Marionetten in den Händen. Doch ehe ich mich versah, war ich die Marionette, die sich mit der gleichen Leichtigkeit in ihren eigenen Fäden verheddert hatte.

Eines Tages sollte die Mätresse seiner Majestät auf den Gedanken gekommen sein, wo nur seine Frau sei, wenn seine Majestät doch seinen Aufgaben und Interessen physischer Natur nachging. Das Spiel der Gerüchte hatte wohl auch in die andere Richtung funktioniert. Gerade war ich damit beschäftigt, einem Abgeordneten aus dem Nachbarland im Norden die Idee einer dauerhaften Zusammenarbeit in seinen Kopf zu setzen. Ich selbst hielt mich für so schlau. Er selbst würde denken, es sei seine Idee gewesen und ich als Frau eines Königs würde in seiner Erinnerung gar nicht mehr vorkommen. Doch da stapfte der König im Morgenmantel auf den Gang.

Und schnell wurde aus der stummen, schönen Königin durch ihr Handeln eine Verräterin, die, noch schlimmer, als Hexe offenbart wurde. Für ihn reichte das als ausschlaggebender Beweis. Und auf einmal fielen den ganzen Angestellten meine Angewohnheiten auf, die diesen nur beflügelten. „Sie schreibt sich die Mondphasen auf, sie interagiert bei den täglichen Waldspaziergängen mit Tieren des Waldes und versucht, dies zu verheimlichen. Und noch schlimmer – sie scheint nach wilden Pflanzen des Waldes zu suchen.“

Der Geruch nach verbranntem Fleisch zerrt mich gewaltvoll zurück in die Realität und ich unterdrücke den Würgereiz. Ich nehme nach und nach wieder wahr, wo ich mich befinde. Die Meute um mich herum grölt immer noch widerwärtige Worte. Die Flammen brennen immer noch lichterloh und ich stehe mittendrin mit engen Fesseln an einen Pfahl gebunden, die mir das Blut abdrücken – nein tun sie nicht. Verdattert bewege ich sacht meine Finger. Die hautengen Fesseln lösen sich langsam aus ihrem festen Knoten. Ich spüre etwas Staubiges statt des Drucks, das aber an meiner Haut festzukleben scheint. Faserige Krümel jucken und kratzen an meinen feuchten Handgelenken.

Langsam ziehe ich meine Hand hinter dem Stock hervor. Das Seil ist durchgebrannt. Ebenso mein Gewand. Nur noch die Flammen scheinen meinen Körper einigermaßen zu bedecken. Doch meine Haut ist komplett unversehrt. Ich brenne nicht. Ich atme schwer aus und eine Mischung aus Verwunderung, Überraschung, aber auch Erleichterung macht sich in mir breit. Ich werde überflutet von Emotionen und Gedanken. Ein Windhauch lässt mein Gewand aus Flammen zucken. Meine Gedanken verstummen. M

it dem Windstoß vernehme ich eine Stimme, die mir etwas zuflüstert: „Wir sind die Töchter von Hexen, wir können nicht verbrennen.“ All die Emotionen verblassen, wie Tinte auf einem vergilbten Papier, die nach und nach ihre Farbe verliert.

Doch etwas anderes, etwas viel größeres breitet sich in mir aus: Macht.


Das Buch heißt "Die Burg" - Geheimnisse hinter den Mauern".

Es ist eine Gemeinschaftsproduktion von Grit Poppe und der Schreibwerkstatt der Bezirkszentralbibliothek „Mark Twain“ Berlin, Marzahn-Hellersdorf, unter Leitung von Renate Zimmermann.

Illustrationen:

Henriette Sitterlee (fast alle)

Candy Krüger (eine)

Mara Weinkauf (eine)

Finanzierung: Förderverein Stadtbibliothek Marzahn-Hellersdorf e.V.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. 

ISBN: 9783759253408



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