DIE BURG - Das Berghotel

„Ich? Wieso? Mit welchem Motiv?“, fragte Jing


16.02.25 Auch in diesem Jahr veröffentlichen wir wieder in den ersten Wochen des Jahres immer sonntags die ersten Kapitel aus dem neuen Buch der Schreibwerkstatt für Jugendliche der Mark-Twain-Bibliothek. 

Das Berghotel

Von Marlene Mahlow

Die Burg war mit Pflanzen überwuchert und sah so aus, als würde sie bald auseinanderfallen.  Und wurde dadurch relativ billig zum Verkauf angeboten. Im Jahre 1995 erkannte ein Investor namens Gregor Perl das Potenzial der Burg und ergriff seine Chance.  Er kaufte die Burg, als einer der wenigen Bewerber, ließ sie renovieren und eröffnete sie feierlich zur Jahrtausendwende. Die Leute strömten in das neu eröffnete Berghotel, doch Gregor Perl musste feststellen, dass eine Burg eben eine Burg blieb.

Am Mittwoch, dem 12. November 2002, lief eine Frau mit blonden, langen Haaren wutentbrannt zur Rezeption. „Ich möchte mich beschweren!“, rief sie. „Frau Atlas, wie Sie sehen können, ist die Schlange sehr lang.“ Der Rezeptionist reichte ihr Stift und Zettel. „Schreiben Sie alles hier auf.“ Die Frau schnappte sich Papier und Stift und schrieb:

  1. In meinem Zimmer zieht es durch die Ritzen im Gestein.
  2. Das Telefon ist defekt.
  3. Ich habe keine Handtücher mehr.
  4. Ich möchte umgehend frische Bettwäsche!

Und wenn Sie das nicht in zwei Stunden erledigt haben, werde ich Sie verklagen!

 

Ona Atlas

 

Sie knallte den Beschwerdebrief auf den Tisch und verschwand. Karlo Jing, der Rezeptionist, las den Brief und lief schnurstracks in das Büro seines Chefs. Gregor Perl stellte schnell das Radio aus und nahm die Füße vom Tisch. „Herr Perl, irgend so eine Frau namens Ona Atlas hat sich beschwert, ihr Zimmer sei so unordentlich und bla, bla, bla. Sie will uns anzeigen“, erklärte Herr Jing, „aber die Polizei hat bestimmt andere Sorgen.“ „Was fällt Ihnen ein? Wissen Sie überhaupt, wer Frau Atlas ist? Sie hat ein riesiges Hotel in der Innenstadt und ihre Zwillingsschwester Lucy Atlas ist Polizistin. Also bringen Sie das in Ordnung, selbst, wenn Sie deshalb fünf Pausen durchmachen müssen!“, erwiderte Herr Perl.

Schnell lief Karlo aus Perls Büro hinaus und machte sich an die Arbeit. Er stopfte die Ritzen, tauschte das Telefon aus, brachte neue Handtücher und das alles in nur einer Stunde! Als er gerade mit neuer frischer Bettwäsche im Arm ins Zimmer kam, war er geschockt. Das ganze Zimmer war verwüstet! Schnell räumte er alles auf und holte zur Sicherheit noch einen Vorrat an Handtüchern. Wieder zurück, traute er seinen Augen nicht. Das Zimmer sah noch chaotischer aus als vorher. Doch das war nicht mal das Schlimmste. Ona Atlas höchst persönlich lag blutverschmiert auf dem Boden, mit einem Messer im Rücken.

Karlo rief sofort die Polizei. „Guten Tag“, der Polizist kam direkt zur Sache. „Was genau ist passiert?“ Karlo schilderte die Lage. Herr Perl und alle anderen Mitarbeitenden mussten eine Aussage tätigen. Nichts wirkte verdächtig. Die Polizei nahm das Messer mit und überprüfte es auf Fingerabdrücke. Am übernächsten Tag, dem 14.11.2002, kam die Polizei wieder ins Hotel. Zwei Polizistinnen liefen zur nicht gerade überfüllten Rezeption und wandten sich Herr Jing zu. „Karlo Jing, hiermit verhaften wir Sie wegen Mordes an Ona Atlas, Ihre Fingerabdrücke wurden auf dem Messer gefunden“, erklärte die erste Polizistin.  „Ich? Wieso? Mit welchem Motiv?“, fragte Jing aufgebracht. „Sie hatten Angst vor der Klage. Also dachten Sie an Mord“, ergänzte die andere. „Was? Nein! Das ist doch vollkommener Schwachsinn!“, empörte sich Herr Jing. Doch das brachte nichts. Er wurde abgeführt. Eine der Polizistinnen wandte sich an Herrn Perl: „Sie müssen Ihr Hotel nicht schließen, denn der ist Fall geklärt.“ „Ja, ja", antwortete Gregor abwesend.

Noch am selben Tag standen viele Reporter vor dem Hotel. Die Mitarbeiter des Hotels stellten sich den Reportern und gaben eine Menge Interviews. Schon ein paar Tage später war überall die gleiche Schlagzeile zu lesen:

Mord im Berghotel

Am 14.11. wurde Karlo Jing verhaftet. Reinigungskraft Giti Amarin äußert sich dazu: „Der kam mir schon von Anfang an suspekt vor. Zum Glück ist der weg. Leider bedeutet das fürs Hotel nichts Gutes. Ich habe mir vorsichtshalber schon den nächsten Job gesichert.“ Wir haben auch die Schwester von Ona Atlas, Lucy Atlas dazu interviewen können: „Ich werde meine Schwester sehr vermissen. Da sie eine sehr erfolgreiche Hotelkette leitete, werde ich diese in Erinnerung an sie weiterführen.“ Leider haben wir den Besitzer Gregor Perl nicht erreichen können. Dafür haben wir aber die berühmte Reiterin Sophia Dinla, die auch schon mal im Berghotel wohnte, vors Mikro bekommen: „Das ist wirklich unfassbar. Ich hielt das Hotel immer für edel. Doch dem ist nicht so. Dort werde ich nicht mehr residieren, auch wenn ich dafür auf den köstlichen Lachs verzichten muss.“ Wie es nun mit dem Hotel weitergeht und was aus Karlo Jing wird, ist noch ungewiss.

 

Diese Zeitungseinträge halfen dem Hotel nun wirklich nicht, sich über Wasser zu halten.   Gregor Perl war gar nicht erfreut als er die neuen Schlagzeilen zu lesen bekam.  

Im Berghotel bleiben die Gäste aus, was jetzt?

Seit dem 21.11. bleiben im Berghotel die Gäste aus. Sterneköchin Kathrina meint: „Ich habe fast all mein Essen wegschmeißen müssen. Es brach mir fast das Herz.“                              Jonathan Klidus, der Rezeptionist, berichtet: „Ich bin jetzt schon auf Jobsuche, und falls das hier einer meiner Kollegen liest: Sie sollten das auch tun.“                                              Ganz anders sieht es beim Hotel von Lucy Atlas aus. Das 4 Sterne Hotel Atlas wurde mit Gästen überschwemmt. Hat das vielleicht mit Lucys Aussage in der Zeitung zu tun? Und was ist mit Ona Atlas´ Beerdigung? Wir beantworten alle Ihre Fragen in dem Extra-Magazin. Eins für 4,50 Euro und zwei für 9,00 Euro.

Und genau sieben Tage später erreichte die Leute eine „überraschende“ Nachricht:

Berghotel geschlossen, wie geht es nun weiter?

Am 26.11. wurde das einst so schöne Berghotel von Gregor Perl geschlossen. Vertrauliche, anonyme Quellen verrieten uns, dass Herr Perl sein ganzes Vermögen in das Hotel gesteckt hatte. Nun ist er bankrott und lebt bei einer entfernten Freundin in Italien. Herr Perl möchte in Ruhe gelassen werden, daher haben wir zu diesem Thema nichts mehr zu berichten. Wir haben somit noch einmal Sophia Dinla, die berühmte Reiterin bei uns. „Es wundert mich ganz und gar nicht. Ich meine, Mord in einem Hotel? Das geht gar nicht. Entspannung pur garantiert? Ich kann mich nicht entspannen, wenn ich Angst habe, dass ich jeden Moment abgestochen werde!“


Das Buch heißt "Die Burg" - Geheimnisse hinter den Mauern".

Es ist eine Gemeinschaftsproduktion von Grit Poppe und der Schreibwerkstatt der Bezirkszentralbibliothek „Mark Twain“ Berlin, Marzahn-Hellersdorf, unter Leitung von Renate Zimmermann.

Illustrationen:

Henriette Sitterlee (fast alle)

Candy Krüger (eine)

Mara Weinkauf (eine)

Finanzierung: Förderverein Stadtbibliothek Marzahn-Hellersdorf e.V.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. 

ISBN: 9783759253408



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