"Ich liebe es, mich selbst und die Welt zu beobachten"

24.01.25 Ende vergangenen Jahres hatte Yan Jun eine eigene Ausstellung in der Mark-Twain-Bibliothek. Zur Zeit sind Bilder von ihr bei der Beton-Fuchs-Ausstellung noch bis Ende Januar in der Galerie M zu sehen. Die Künstlerin ist Mitglied der Neuen KunstInitiative NKI und in den vergangenen Monaten ziemlich oft in der Galerie anzutreffen. Foto: Uta Baranovskyy
Sie betreut die Ausstellungen während der Öffnungszeiten und berät auch die Besucher, wenn diese Fragen haben.
Wenn Zeit ist, malt sie auch in der Galerie. Bevorzugt Tiere, vor allem Katzen.
Über sich und ihre künstlerische Passion erzählt sie folgendes:
Ich liebe es, die Welt und mich selbst zu beobachten.
Ich habe viele Selbstporträts gemalt. Manchmal male ich nur nach meinen inneren Empfindungen und Vorstellungen und stelle mir dabei vor, dass ich ein allmächtiger Gott bin – oder im Gegensatz dazu, ein wertloses Stück Müll.
Manchmal zeichne ich anhand von Fotos, die ich gemacht habe. Beim Fotografieren spiele ich oft bewusst eine Rolle – manchmal eine, die nichts mit mir zu tun hat, manchmal eine, die viel mit mir zu tun hat.
Unterschiedliche Gesichtsausdrücke im Wechselspiel mit verschiedenen Lichtverhältnissen – jedes Foto scheint eine Geschichte zu erzählen. Ich liebe es, Geschichten zu erzählen.
Manchmal zeichne ich mein Selbstbildnis direkt vor dem Spiegel und sehe mir dabei selbst in die Augen. Ich beobachte aufmerksam, zeichne nach und halte fest: „Ah, so siehst du heute aus, so ist dein Gesichtsausdruck jetzt.“
Ich mag es, mich intensiv wahrzunehmen. Dabei fühle ich mich manchmal sogar fremd gegenüber mir selbst. Dieses Gefühl von Vertrautheit und Fremdheit zugleich fasziniert mich sehr.
Das Leben ist voller Wunder. Plötzlich wurde ich auf diese Welt geschickt. Aber was für eine Existenz bin ich eigentlich in dieser Welt? Die Welt verändert sich ständig, jede Sekunde bringt sie mir etwas Neues. Ich beobachte mich selbst – vom Kind zum Erwachsenen.
Jeden Tag gibt es subtile Veränderungen. Manchmal beobachte ich mich, als würde ich das Aufblühen und Verwelken einer Blume betrachten. Der Prozess des Entstehens und Vergehens von Leben ist faszinierend.
Diese alltäglichen Veränderungen sind ebenfalls spannend. Mein Dasein – manchmal erscheint es mir sehr interessant.
Meine Absicht ist es, mit der Außenwelt zu kommunizieren und dadurch mein eigenes Dasein bewusst zu fühlen. Ich male all meine Freude, Trauer, Stille und meinen Schmerz, um anderen Menschen einen Einblick zu geben in das, was ich empfinde.
Ich suche nach Menschen, die mit mir in Resonanz treten – ich suche nach Weggefährten.

Selbstportrait

Katze auf einem Stuhl

Weiße Katze in der Tasse
Der Weg der Einsamkeit
Menschen sind einsam. Es gibt keinen Fluss, der zweimal gleich ist, und keine zwei identischen Menschen.
Alles verändert sich in jedem Moment. Wir werden einsam geboren und sterben einsam.
Auch bedeutende Ereignisse im Leben müssen wir letztendlich alleine bewältigen. Selbst wenn jemand an unserer Seite steht und unsere Hand hält – den Weg müssen wir dennoch allein gehen.
Manchmal scheint das Leben ein einsamer Pfad zu sein. Selbst inmitten einer Menschenmenge ist man dennoch für sich allein.
Die Bedeutung meiner Werke
Für mich selbst ist ihre Bedeutung unbestreitbar groß. Sie erfüllen eine wichtige Aufgabe – sie sind meine Art, mit der Welt zu kommunizieren.
Meine Gemälde existieren durch mich, und ich erhalte einen Sinn durch sie. Das ist die innere Bedeutung. Was die äußere Bedeutung betrifft:
Meine Werke können denjenigen, die mit mir in Resonanz treten, vielleicht Freude schenken und ein gemeinsames Erleben von Gefühlen ermöglichen.
Durch meine Bilder umarme ich Menschen und liebe sie. Manchmal stehe ich aber auch still und ruhig neben ihnen.
Meine Werke sind wie meine Hände, die die Welt ertasten und spüren. Sie sind wie meine Füße, mit denen ich durch die Welt gehe.
Sie sind wie mein Mund, der Liebesworte an diejenigen flüstert, die ich liebe. Meine Werke sind mein Herz, das schlägt und beweist, dass ich lebe. Meine Werke sind meine Emotionen, frei fließend und sich ergießend. Wenn das alles Bedeutung hat, dann haben meine Werke eine Bedeutung.
Das Glas
Ein Trinkglas – so alltäglich und leicht zu greifen – oder generell transparentes Glas ist faszinierend.
Weil es durchsichtig ist, kann man Objekte durch es hindurch sehen, aber durch seine Krümmung und Spiegelungen werden diese Objekte verzerrt. Wenn starkes Licht hindurchscheint, entstehen Lichtpunkte, kleine leuchtende Kugeln, helle Streifen oder schimmernde Reflexe.
In den Schattenbereichen hingegen erscheinen verzerrte Farbfelder und faszinierende Linien.
Selbst in den dunklen Ecken blinken kleine Lichtpunkte auf und bilden interessante Kontraste. Wenn wir unseren Blickwinkel nur ein wenig ändern, wandelt sich die Welt der Licht- und Schatteneffekte sofort und zeigt uns neue Formen und Verzerrungen. Wie spannend und zauberhaft ist das!
Ist diese sich ständig wandelnde Welt der Lichtreflexe nicht ein Spiegelbild der Welt, wie wir sie wahrnehmen? Jeder Mensch sieht die Welt durch seine eigene „Glaslinse“, mit seinen eigenen Farben, Empfindungen und Perspektiven.
Es gibt freudige Strahlen voller Kraft, sanftes Licht voller Ruhe, aber auch tiefste Schatten voller Dunkelheit und Hässlichkeit. Selbst in diesen Schatten blitzen sanfte, zarte Reflexe auf – menschliche Wärme und Güte. Diese bunten Reflexionen spiegeln die Vielschichtigkeit der menschlichen Natur wider.
In meinen Augen ist Glas ein Miniaturbild dieser komplexen Welt – voller Schönheit und Schrecken zugleich.
Die schmerzliche Seite des Glases
Zerbrochenes Glas kann zerstören und verletzen, es steht für Schmerz und Zerstörung. Die scharfen Kanten eines zerbrochenen Glases erinnern an die grausame Realität, die uns kleine Schnitte zufügen kann, die schmerzen – oder uns schwer verwunden und uns hilflos zurücklassen.
Manchmal fügt sie uns einen tödlichen Schlag zu und beendet alles. Glas hat eine grausame, kalte Seite – genau wie die Welt, die manchmal erbarmungslos und kalt erscheint.
Das Leben als Theaterstück
Die menschliche Gesellschaft ist faszinierend, und das Leben gleicht manchmal einem Theaterstück. Vielleicht ist das Leben tatsächlich eine Inszenierung, die wir selbst schreiben und spielen – eine Mischung aus Tragödie und Komödie.
Mit unserer Geburt richtet sich das Scheinwerferlicht auf uns, und je nach Verlauf des Lebens endet unser Schauspiel mit einem mal leisen, mal dramatischen Schlussvorhang. Manche Theaterstücke sind wunderschön, manche Geschichten tragisch, andere perfekt oder voller Freude. Man kann seine Rolle mit einer Maske spielen oder ganz authentisch, oder man wechselt ständig hin und her.
In unserem eigenen Stück dürfen wir frei wählen.
Was ist Schönheit?
Schönheit liegt im Auge des Betrachters – was für den einen schön ist, kann für den anderen hässlich sein. Jeder schmückt seine Welt nach seinen eigenen Vorlieben und ästhetischen Vorstellungen. Diese Welt ist jedoch nicht nur für Menschen gemacht. Schönheit ist vielfältig und bunt.
Farben und Emotionen
Farben sind wundervoll:
Blau – tiefblau, hellblau – wie Schichten in unserem ruhigen Bewusstsein, melancholisch und schön zugleich.
Rot – tiefrot, hellrot – wie unsere wechselhaften Gefühle, mal sanft, mal leidenschaftlich.
Gelb – dunkles Gelb, helles Gelb – wie unser pulsierendes Leben, manchmal stark, manchmal schwach.
Grün – dunkles Grün, helles Grün – wie eine ruhige, warme Waldhütte, in der wir uns ausruhen und neue Kraft schöpfen.
Violett – tiefviolett, hellviolett – manchmal ein Hauch von Verführung, ein Anflug von Schalk, wie ein augenzwinkerndes Lächeln. Dunkles Violett steht für tiefe Wünsche und verleiht dem Herzklopfen Ausdruck.
Schwarz – wie die Nacht, sanft und kühl, voller verborgener Geschichten.
Grau und Weiß – sanft und gleichförmig wie ruhige, unspektakuläre Tage.
Weiß – wie Schnee, wie Träume, flüchtig und vergänglich wie die Jugendträume unserer Kindheit.
Das Malen erlaubt es, all diese bezaubernden Farben miteinander zu mischen und die Emotionen Schicht für Schicht auf die Leinwand zu bringen.
Die Farben dunkler zu mischen bedeutet intensivere Gefühle, hellere Farben stehen für Ruhe. Der Prozess des Malens ist wie ein Dialog mit der Welt – eine Möglichkeit, seine Wahrnehmungen und Empfindungen festzuhalten.
Diese Welt kann unglaublich schön sein, aber auch verstörend, schrecklich oder einfach nur alltäglich. Das Malen verwandelt die Bilder und Emotionen dieser Welt in eine neue Form. Manche malen kühler und objektiver, andere subjektiver und persönlicher. Dieser Prozess ist faszinierend.


Unsere Augen sehen die Welt auf ihre eigene Weise – mal verzerrt, mal optimistischer, mal pessimistischer. Es ist, als ob wir durch ein Glas blicken und dabei ständig unsere Perspektive verändern. Die Natur erscheint uns Menschen geheimnisvoll und voller Magie.
Es gibt so viel Dunkelheit in dieser Welt, so viele traurige und schmerzliche Dinge, dass es einem das Herz zerreißt.
Doch Schönheit ist wie eine süße Suppe, die unsere geschundene, empfindsame Seele tröstet.
Sie ist ein Hafen der Sanftheit für das Herz, ein aktives Zeichen der Vernunft, ein Licht in der Dunkelheit, eine Sanftheit in der rauen Realität – eine Hoffnung im Leben und ein Ausdruck großer Gedanken.
Sie ist überall um uns herum, wartet darauf, entdeckt zu werden – und wird von uns immer wieder neu erschaffen.


