Im Takt der S(a)eiten: Ein Tag in der Musikbibliothek

01.02.25 Ein leises Rauschen durchzieht die Luft, als die erste Besucherin des Tages die schweren Glastüren der Zentralbibliothek "Mark Twain" öffnet. Sie weiß genau, wohin sie will. Vorbei am Empfangstresen, dann leicht links. Dann rechts durch das offene Tor, über dem der Schriftzug „Musikbibliothek“ prangt.
Hier, im Herzen einer lebendigen Stadt, thront sie wie eine Kathedrale für Melodien, ein Ort, an dem Geschichte, Kreativität und Bildung harmonisch verschmelzen.
Schon beim Betreten der lichtdurchfluteten Räume fühlt man die besondere Atmosphäre – eine Mischung aus Konzentration und Inspiration.
Diese Musikbibliothek ist übrigens die einzige in ganz Ostberlin.
Zwischen Regalen, die überquellen vor Partituren, Fachbüchern, Notenblättern und natürlich CDs, Blu-Rays, neuerdings sogar Schallplatten, liegt das Geheimnis der Musikgeschichte verborgen.
Werke von Bach bis Boulez, Klassik, Volksmusik, Jazz, Pop, Rock, warten darauf, von neugierigen Händen und Ohren entdeckt zu werden.
Ob passionierte Musiker, ambitionierte Studenten oder schlicht Musikliebhaber, hier findet jeder seinen Platz.
Der Bestand in erstaunlichen Zahlen: 7.700 Noten für fast alle Instrumente und Besetzungen, Partituren, Klavierauszüge, Instrumentalschulen, Rock- und Pop-Songbooks und Jazznoten, 14.000 CDs, 5.000 Musikbücher zur klassischen oder populären Musik, 28 Musikzeitschriften, 1.900 Musik-DVD und -Blu-ray.

Hier geht es zur Musikbibliothek innerhalb der Zentralbibliothek "Mark Twain" im Freizeitforum Marzahn.
Fotos: Uta Baranovskyy

Heller, stiller Platz zum Lauschen der ausgewählten Klänge.
An einem der Tische vor den hohen Fenstern sitzt eine ältere Dame.
Ihre Fingerspitzen gleiten vorsichtig über die Seiten einer jahrhundertealten Partitur – eine Erstausgabe von Beethovens späten Streichquartetten.
Neben ihr blättert ein junger Cellist konzentriert durch eine neuere Ausgabe derselben Werke, bereit, diese auf seinem Instrument zum Leben zu erwecken.
Die beiden nicken sich kurz zu, ohne ein Wort zu wechseln. Die Musik verbindet sie, ganz ohne Worte.
In einer anderen Ecke des Raumes sitzt ein Kind, vielleicht acht Jahre alt, vor einem Bildschirm.
Die Bibliothek hat sich längst an die Zeit angepasst: Neben den gedruckten Schätzen stehen auch digitale Archive zur Verfügung.
Das Mädchen entdeckt gerade eine interaktive Plattform, die berühmte Komponisten und deren Werke spielerisch erklärt.
Es klickt auf Mozart, und plötzlich erklingen die ersten Takte der „Kleinen Nachtmusik“.
Ein breites Lächeln huscht über das Gesicht des Mädchens – eine neue innere Welt öffnet sich ihr.

Die berühmte rote Couch lädt zum gemütlichen Sitzen und zum Blättern in Büchern, Zeitschriften oder Notenblättern ein.
Kinder machen sich spielerisch mit musikalischen Möglichkeiten vertraut.

Ob CD oder Blu-Ray, hinsetzen und mitsummen. Bitte nicht zu laut!

Noten und Musikliteratur in reicher Auswahl.

Nostalgische Schallplatten sind wieder im Trend. Hier kann man vorhören, ob man sie ausleihen möchte oder doch lieber eine andere Platte auflegt.

Die Plattensammlung wird nach und nach vergrößert.

Das CD- und Blu-Ray-Angebot lässt kaum einen Wunsch offen.
Man findet hier aber nicht nur Musik von anderen Musikern und Komponisten. Man kann hier auch seine eigenen musikalischen Ambitionen leben.
Dazu muss der Ambitionierte die Musikbibliothek durchqueren, durch eine Tür gehen, durch einen kleinen Flur, dann rechts eine weitere Tür öffnen, schon ist er in dem frisch renovierten Probenraum. Eine junge Frau sitzt schon am Klavier und übt ihr Talent.
Viele Instrumente stehen hier zum kleinen Preis von einem Euro die Probestunde zur Verfügung. Schüler, Studenten, Auszubildende und Berlin-Pass-Inhaber zahlen nur 50 Cent. Das Geld wird genutzt, um das Klavier regelmäßig stimmen zu lassen.
Sogar ein Schlagzeug steht zur Verfügung. Manchmal passt es ja den Nachbarn nicht, wenn man Zuhause das Schlagzeug ordentlich und lautstark bearbeitet. Das kann der zukünftige Schlagzeugstar hier ganz ungestört tun und stört dabei auch niemanden.
Notenständer und eine Musikanlage sind ebenfalls vor Ort.
Der Förderverein Stadtbibliothek Marzahn-Hellersdorf e.V. ermöglichte die Nutzung des Raumes. Terminreservierungen sind vor Ort,
Die Renovierung und Umgestaltung konnte mit Spendenmitteln der Wohnungsgenossenschaft Marzahner Tor an den Förderverein Stadtbibliothek Marzahn-Hellersdorf e.V. realisiert werden.
Doch die Musikbibliothek ist nicht nur ein Ort der Entdeckung, sondern auch des Austauschs.
Sehr häufig finden hier Workshops, Vorträge und kleine Konzerte statt.
Am 7. Februar zum Beispiel ist interessiertes Publikum eingeladen zu einem Gitarrenabend „Adams Spirit – Summer Sessions mit Vladimir Spiridonov und C.C. Adams“. Beginn 20 Uhr.
Der Eintritt ist frei. Wo sonst könnte man Musik so direkt und ohne Barrieren erleben?
Der Leiter der Musikbibliothek Christoph Kaltenborn lächelt, als er einem Besucher hilft, eine bestimmte Notenausgabe zu finden.
Er kennt die Sammlung wie seine Westentasche. „Es ist ein bisschen so, als hätte ich tausende Kinder“, sagt er lachend, „jedes Werk hat seinen eigenen Charakter.“
Seine Leidenschaft für Musik ist ansteckend, und es dauert nicht lange, bis auch der schüchterne Klavierschüler im Gespräch aufblüht.

Der Leiter der Musikbibliothek Christoph Kaltenborn gibt regelmäig umfangreiche Auskuft über die Musikbibliothek in den wöchentlichen Podcasts von Renate Zimmermann.
Hier zum Reinhören:
Rück- und Ausblick zum Jahreswechsel 2024/2025
Die Rückkehr der Schallplatte
Leiter Christoph Kaltenborn
Sibylle Prüfer
WAS MACHT EIGENTLICH – ein Musikbibliothekar?
Gespräch mit dem schwedischen Komponisten Kurt Wiklander
Über Musik Querbeet
Musik zum Ausleihen





Als die Dämmerung einsetzt, füllt sich der Saal mit einer besonderen Energie.
Besucher setzen sich an das Klavier im Foyer, testen Instrumente, die sie ausleihen wollen, oder lauschen einfach nur den Tönen aus den drei Hörplätzen zur selbständigen Benutzung.
Die Musikbibliothek ist auch, aber nicht nur, ein Ort der Stille – sie ist ein lebendiger Treffpunkt, ein pulsierendes Zentrum der Kreativität.
Junge Leute entdecken hier auch ständig Neues. Zurzeit ist K-Pop im Trend. Die Musikbibliothek geht mit.
Es wurde eine Aufstellfläche für den Bereich K-Pop (Popmusik aus Korea) geschaffen. Die dort zu findenden CDs sind häufig in solchen uneinheitlichen Formaten, dass die CDs schwer untergebracht werden können.
Um diesen relativ stark nachgefragten kleinen Bestandteil besser präsentieren zu können, sind die CDs mit einem kleinen blauen Aufkleber (“K-Pop”) gekennzeichnet und befinden sich im obersten Schubregal der Rock und Pop DVDs (DVD-R).
Dort weist ein farbig bunt gestalteter Flyer an der Wand zusätzlich auf den neuen Standort hin. Weitere K-Pop CDs werden dort Platz finden.

Eine breite Auswahl an Musikzeitschriften - zum Blättern und auch Ausleihen.

Eine professionelle Musikanlage für Veranstaltungen in der Musikbibliothek.
Wenn die Türen abends schließen, bleibt die Musik dennoch.
Sie haftet an den Wänden, sie schwebt in der Luft und wartet geduldig auf den nächsten Tag.
Auf neue Besucher, neue Geschichten und vor allem: neue Klänge. Denn in der Musikbibliothek der Mark-Twain-Bibliothek endet die Harmonie niemals – sie beginnt jeden Tag von Neuem.


