NEUJAHR

"Ich bin die Königin. Ich habe dich in mein Reich geholt."

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Neujahrskatze

Eine Geschichte von Tim Gärtner 

Ein Haustier haben zu wollen ist eine Idee, die wohl viele Kinder früher oder später haben, die ohne eines aufwachsen. Zu Weihnachten (und Geburtstagen) bricht sich dieser Wunsch dann oft besonders lautstark Bahn.

Auch Vanessa war in dieser Hinsicht voll dabei. Schon seit langem wünschte sie sich ein Haustier, am liebsten eine Katze. Aber ihre Eltern waren dagegen. Angeblich gab es einen bösen Mann namens „Vermieter“, der Haustiere in der Wohnung verbot. Weihnachten war gekommen und gegangen und noch immer gab es keine Katze im Haus der Familie.

Blöder Vermieter.

Blöde Eltern.

Vanessa war auf dem Heimweg von der Schule, weshalb sie diese beiden Gedanken immerzu wiederholte, während sie bei jeder Wiederholung besonders weit mit den Stiefeln ausholte, um den Schnee hoch durch die Luft zu schleudern. 

Blöder Verbieter.

Blöde Eltern.

Aber es gab etwas, das beide nicht wussten: Vanessa hatte ja schon lange eine Katze. Naja, mehr oder weniger. Denn immer, wenn Vanessa auf dem Weg von der Schule nach Hause einen Umweg durch den Innenhof der Plattenbauten ging, traf sie hier eine Katze. Fast ganz schwarz war sie, mit weißen Socken und einer Zeichnung wie ein kleines Krönchen über den Augen. Sie hatte beim Abendbrot eine kleine Andeutung fallen gelassen, aber ihr Vater war nicht erfreut gewesen. Angeblich waren Streuner – und alle Katzen und Hunde auf der Straße waren laut Papa Streuner – grundsätzlich krank oder schmutzig.

Vanessa hatte ihre Katze in den letzten Tagen genau beobachtet (was in den frühen Abendstunden des Winters gar nicht einfach gewesen war) und festgestellt, dass sie weder schmutzig aussah noch wie in einer der Beschreibungen einer kranken Katze aus dem Buch in der Schulbücherei.
Also würde Vanessa Nala, wie sie die Katze genannt hatte, heute auch wieder streicheln und kraulen und überhaupt so viel knuddeln, wie die Kätzin es wollte.

Als sie Nala gerade am Ende des Weges entdeckt hatte und begeistert auf sie zu stürmte, passierte es: Plötzlich drehte sich alles, dann sah sie auf einmal nur noch den Sternenhimmel. Einer der Sterne wurde schnell immer heller, und dann …

War Vanessa in einer hohen Halle, mit lauter Katzen auf zwei Beinen, in altmodischen Klamotten und lustigen Hüten und Masken. Einige Stufen führten auf ein Podest mit einem Thron, auf dem eine schwarze Katze mit langen weißen Handschuhen und hohen weißen Stiefeln saß.
Die Katze sprach sie an:

 „Höre Vanessa, ich bin die Königin. Ich habe dich in mein Reich geholt, damit du uns mit einer wichtigen Mission helfen kannst: Du musst die Heldin wiederfinden.“

Vanessa war überrascht. Die Katze sprach? Naja, immerhin trug sie auch Kleidung.

„Aber, wie soll ich denn eine Heldin finden? Ich bin doch bloß ein kleines Mädchen.“

„Papperlapapp“, entgegnete die Königin. „Bist du nicht jeden Tag zu mir gekommen, obwohl ein böser Verbieter dich bedroht? Unsere Heldin ist nicht viel älter als du. Dass du schlau bist, hast du auch schon bewiesen. Immerhin konntest du die Geschichte deines Vaters durchschauen, als du selber nachgelesen hast, was Wahrheit sein kann.“ Doch nickte die Königin nachdenklich. „Aber ich will dir trotzdem drei Zauberdinge mitgeben: Einen Ring, der jede Katze sofort erkennen lässt, dass - wer ihn trägt, in meinem Auftrag spricht. Einen Hut, der nie fortgeweht werden kann und dich immer sicher auf deinen vier … äh zwei Füßen landen lässt, wenn du einmal fällst. Zuletzt noch diesen Mantel: Er wird dich immer warmhalten.“

Vanessa bedankte sich, dann machte sie sich auf den Weg. Sie hatte das Königreich der Katzen kaum verlassen, da begegnete sie einer Patrouille grimmiger Katzen-Krieger.

„Halt! Wer da? Wir dürfen niemanden durchlassen!“, rief der Anführer, ein vernarbter Kater mit einem Helm und einem langen Schwert am Gurt.

Vanessa berichtete, dass sie im Auftrag der Königin unterwegs wäre, aber der Kater lachte.

„Ein Mensch? Ein kleines Mädchen noch dazu? Geh nach Hause und spiel mit deinen Puppen. Dich brauchen wir hier nicht.“

Aber Vanessa wiederholte, was die Königin gesagt hatte, und geriet darüber so in Wut, dass sie immer weiterredete, wie sehr sie es satthatte, dass alle ihr sagten, was sie nicht könnte und dürfte, dass sie jetzt langsam groß wurde und selber wusste, was sie wollte und schaffte. Da ließ der Kater sie ohne ein weiteres Wort passieren. Vanessa hatte den Ring gar nicht gebraucht.

Als nächstes erreichte sie eine große Schlucht, auf deren anderer Seite sie nur Finsternis sah, aber sie konnte an ihrem Boden Licht sehen. Lange überlegte sie, was wohl zu tun sei, da hörte sie von unten jemanden rufen:

„Hier, hier bin ich! Bitte hilf mir, es ist so kalt.“

Da sprang Vanessa, ohne weiter zu zögern, hinab. Sie hielt ihren Hut gut fest, denn trotz des Versprechens der Königin fürchtete sie sich, wenn sie ihn nicht hielt. Wohlbehalten, auf beiden Füßen landend, erreichte sie den Grund.

Ein anderes kleines Mädchen war hier, doch es zitterte ganz erbärmlich. Schnell legte Vanessa ihm seinen Mantel um. Zwar wurde ihr jetzt sofort kalt, aber das Mädchen zitterte nicht mehr.

„Dankeschön“, sagte es, dann schlief es sofort ein. Scheinbar war es sehr erschöpft. Plötzlich hörte Vanessa ein zweites Maunzen. Eine kleine weiße Katze mit weißen Handschuhen und weißen Stiefeln kroch unter dem Mantel hervor.

„Auch ich sage danke, allein konnte ich sie nicht mehr wärmen. Aber sag, was sollen wir denn jetzt tun?“ sprach die junge Kätzin und klang ganz erbärmlich vor Angst.

„Ein paar Mal habe ich andere Katzen gehört, aber weil ich so klein bin, hört keine von ihnen auf mich. Jetzt sitzen wir beide hier fest“, jammerte sie. Lange überlegten Vanessa und das Kätzchen, was sie tun könnten, doch die Lösung fiel ihnen erst ein, als sie selbst schon ganz verfroren war.

Als nämlich plötzlich wieder Katzenstimmen zu hören waren, gab Vanessa schnell der kleinen Katze den Ring. Als die Kleine jetzt um Hilfe rief, mussten die anderen Katzen helfen, denn der Ring der Königin zauberte, dass es so war. Eigentlich hatten die meisten von ihnen sowieso helfen wollen, aber so weit vom Reich der Katzen entfernt hatten viele bei der Stimme aus der Schlucht gefürchtet, es wäre eine Falle der Hunde.

 So kehrten Vanessa, die Heldin und die kleine Katze ins Königreich zurück, als plötzlich …

Vanessa in ihrem Bett wach wurde. Sie hatte schreckliche Kopfschmerzen. Aber ihre Mama war da und erzählte ihr dann alles:

Anscheinend hatte Vanessa vor Freude über ihre Katze im dunklen Innenhof nicht richtig aufgepasst und war auf einer Pfütze aus Eis ausgerutscht. Dann hatte sie sich den Kopf gestoßen und hatte nicht wieder aufstehen können. Doch ihre Katze – Nala – war nicht von ihrer Seite gewichen und hatte sie gewärmt, so gut sie konnte. Sie hatte immer weiter und lauter miaut, bis schließlich doch ein Mensch nachschauen kam, warum dort im Hof so ein Krach war. Dann war sie gerettet worden.

Ihre Eltern waren natürlich sehr ängstlich gewesen und auch ein wenig sauer, weil Vanessa nicht gehört hatte. Aber vor allem glücklich, dass nichts passiert war.

Die Katze war bei einem Tierarzt, der sie gründlich untersuchte, denn sie war tatsächlich eine Streunerin. Aber Vanessas Papa hatte ihr versprochen, dass er - wenn Nala gesund wäre – noch einmal mit dem Vermieter sprechen würde. Immerhin hatte Nala auf Vanessa aufgepasst. Da musste die Familie auch so gut es ging auf Nala aufpassen.

Tim Gärtner ist Mitglied der Schreibwerkstatt unter Leitung von Renate Zimmermann, Bezirkszentralbibliothek "Mark Twain"

 

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