KRIMI-SERIE

«Wir haben kein Netz! Absolute Funkstille!»

Krimi-Serie, geschrieben von Mitgliedern der Schreibwerkstatt der Zentralbibliothek "Mark Twain" gemeinsam mit Autor Vincent Kliesch. - hier mehr 

19.02.23  Kapitel 5

«Also bin ich jetzt bei eurem Scheiß dabei oder nicht?», fragte er etwas entnervt in Hans-Werners Richtung. Dieser hatte sofort die fluchende Francis vor seinem geistigen

Hans-Werners Stimmung war hingegen regelrecht erhellt. Das Licht hatte in ihm die Hoffnung auf eine erfolgreiche Operation wieder aufleuchten lassen.

Der Bengel konnte ihm tatsächlich von Nutzen sein. Markus’ rotzige, distanzierte Art gegenüber seinen Mitschülern war für Hans-Werner ein eindeutiger Beweis für die Echtheit seiner Kooperation und machte ihn damit ebenso zu einem vertrauenswürdigen Komplizen.

Hans-Werner wusste allzu gut, wie es sich anfühlte, der Außenseiter in der Schule zu sein.

Markus hatte die geradezu durchsichtigen Gedankengänge des Terroristen aus dem Augenwinkel beobachtet.

Seine Erleichterung über das erfolgreiche Entzünden des Lichts einerseits und gleichzeitig die Angst, die anderen Terroristen würden sich nicht so schnell von seinem Mitwirken überzeugen lassen, überspielte er wie immer gekonnt mit einem schelmischen Grinsen.

Lässig steckte er seine Hände in die Hosentaschen und lehnte sich demonstrativ gegen die Wand hinter sich. 

Auge, die dem Frischling garantiert nicht ohne weiteres ihre ganze Mission anvertraut hätte.

«Ich sagte doch bereits, die Chancen stehen gut!», antwortete Hans-Werner nicht ganz so bestimmt, wie er eigentlich vor dem Jungen wirken wollte.

«Irgendeinen, der sich in diesem Loch auskennt, braucht ihr eh», ergänzte Markus. Er kannte den Plan der Terroristen nicht. Vielleicht etwas Politisches. Mit Systemkritik kannte Markus sich aus. «Na gut Alter, dann hau mal raus, was das für eine kranke Aktion ist, die ihr da plant! Ich habe euch hier immerhin gerade den Arsch gerettet, da ist es nur fair, wenn ich jetzt auch mal eingeweiht werde.»

Hans nahm den fordernden Ton in Markus Stimme trotz seiner nach wie vor tiefenentspannten Haltung deutlich war. Verübeln konnte man es ihm nicht. Nein, der Bengel hatte recht mit dem, was er sagte. Er hatte sich mit seiner Kooperation einen Teil der Wahrheit verdient. Und wenn er es vor Francis so darstellen musste, als wären die Informationen nötig gewesen, um den Jungen am Ball zu halten?

Etwas an Markus Art hatte in Hans-Werner ein bis dato unbekanntes Mitteilungsbedürfnis ausgelöst. «Schon mal was von C4 Hexogen gehört», versuchte er sich daran zu erinnern, was Friedrich ihnen erzählt hatte. «Wir werden diesen paar Lackaffen mal gehörig den Schädel wegpusten! Diesen Arschgesichtern von Politikheinis, die denken, ihnen gehört die Welt. Wenn wir heute Abend kein Statement setzen, tut es keiner! Aber wir haben den Arsch in der Hose, verstehst du Junge. Im Gegensatz zu all diesen Pseudoaktivisten mit ihren friedlichen Demos, die man sich sonstwohin stecken kann. Die interessieren doch kein Schwein. Wir ziehen das knallhart durch und heute Abend werden so ziemlich allen Figuren dieses Landes beim Nachos fressen und TV schauen die Augen aus den Köpfen fallen!» Markus verstand.

«Scheiße ey, ihr wollt im Ernst ´ne Bombe zünden? Holy Shit!» Seine Coolness war vorübergehend um die Hälfte gesunken, ihm fehlten die Worte. Damit hatte er nicht gerechnet. Der sonst so wortkarge Schüler schwieg diesmal vor Erschütterung und es dämmerte ihm so langsam, wie ernst die Lage war. Während sich Helenas Augen gerade an die Dunkelheit gewöhnten, vernahm sie das laute Klicken, das durch das dicke Gewölbe des Kellers hallte.

Auf einmal blitzten die an der kahlen Decke angebrachten Leuchtröhren wieder auf. Geblendet von der Helligkeit, schloss Helena die Augen für einen kurzen Moment. Als sie ihre Augen etwas zögerlich öffnete, sah sie Shannon, die blass wie die Kellerwand auf ihren alten Laptop starrte. Mit ihrer gewohnten Strenge, aber auch einem eindeutigen Zug der Verzweiflung im Gesicht schaute sie zu Helena herüber: «Sag jetzt nicht, dass der Stromausfall deine ganze Arbeit wieder rückgängig gemacht hat.» Helena versuchte so bestürzt wie möglich zu schauen. Innerlich war sie noch immer dabei, sich zu sammeln.

Auf Shannon wirkte sie allerdings nicht gerade orientierungslos, sondern tatsächlich niedergeschlagen, womit sich die Frage der hageren Frau nach dem verlorenen Fortschritt von selbst beantwortete. So langsam beschlich Helena das Gefühl, dass sie der Terroristin nicht mehr allzu lange etwas würde vormachen können. Wie zum Henker sollte sie die per Zufall eingegebenen Zahlen von vorhin nochmals eintippen. Das war unmöglich. Sie würde die Terroristen nicht mehr länger als fünf Minuten beschwichtigen können.

Nein, sie brauchte Zara. Gerade als sie darüber nachdachte, wie sie ihre beste Freundin unauffällig um Hilfe bitten konnte, ohne noch weitere Menschen in Gefahr zu bringen, kam Flora, der kleine Tiger des Hausmeisters, durch den Türspalt geschlüpft. Und plötzlich überkam Helena eine Idee. «Ich bräuchte mal Stift und Zettel!» «Ich habe keine Ahnung, wo hier sowas ist», antwortete Shannon. «Du kannst ja mal in den Schubfächern dahinten suchen. Aber beeil dich, wir liegen im Verzug!»

Trotz der Zeitverzögerung hatte sich etwas geradezu Sanftes in Shannons Stimme niedergelassen, was auf ein wenig Erleichterung schließen ließ. Helena lief zu einer der besagten Schubladen, in der sie einen Vorrat an Notizblöcken und Billigkulis erwartete, den ein paar ihrer Mitschüler schon einige Male geplündert hatten. Tatsächlich wurde sie in der zweiten Schublade fündig. Zara und sie hatten damals in der Grundschule eine Geheimschrift ausgeheckt, um sich während des Unterrichts heimlich Zettelchen schreiben zu können, ohne im Falle des Auffliegens vor der ganzen Klasse bloßgestellt zu werden.

Das würde ihnen jetzt zugutekommen. Alibimäßig schaute sie abwechselnd auf den Laptop und dann wieder auf ihr Papier, auf welches sie konzentriert die Zahlen und Zeichenkombinationen ihrer Geheimschrift kritzelte. In weniger als fünf Minuten war eine ausführliche Nachricht an Zara verfasst, in der sie alles erklärte, was auf dem Bildschirm zu sehen war und was ihr aufgetragen wurde, zu tun. Sie passte einen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit Shannons ab, um den Notruf-Brief so klein, wie es nur ging, zu falten und hinter das Halsband der Katze zu stecken, die nach wie vor zärtlich um ihre Beine strich.

Helena wusste um das untypische Rudelverhalten ihrer kleinen Gefährtin und hoffte, die Katze würde bald von ihr ablassen, um nach den anderen zu sehen. Und tatsächlich, als ob die Katze sie verstanden hatte, kam sie nach einem Umweg zu dem Futter, welches Herr Markgraf ihr vorhin noch mit Liebe hingestellt hatte, in dem Raum an, wo Zara und die anderen mittlerweile wieder im Hellen zwischen Angst, Akten und ihrer verletzten Freundin verharrten. Francis, die seit einer Weile nur Löcher in die Luft gestarrt hatte, gefiel der tierische Besucher, der ihre Stimmung etwas auflockerte.

Sie schmunzelte beim Anblick der Katze. Schon immer hatte sie Katzen geliebt, ihr gefiel ihre selbstbestimmte Art zu leben. Eine Katze ließ sich von niemandem etwas sagen oder gefallen. Zu gerne hatte Francis die kleine Besucherin gekrault, aber sie wollte vor den Schülern keinerlei Schwäche oder Mitgefühl zeigen, also blieb es bei dem zarten Schmunzeln, was für die Schüler nicht zu sehen war, hoffte sie.

Nach einem kurzen Beschnuppern von Francis Beinen und dem Mustern der alten Möbel aus der Ferne, tapste Flora weiter in den Raum auf die Schüler zu. Alle freuten sich über ihr Erscheinen, fast noch mehr als sonst. Man hätte meinen können, Flora spürte die bedrückende Stimmung und wäre zum Trösten gekommen. Als Flora dann nach ein paar Streicheleinheiten der Mitschüler auch zu Zara kam, entdeckte diese nach einer Weile die versteckte Botschaft.

Anscheinend hatte keiner der anderen Anwesenden in diesem Raum den kleinen Zettel bemerkt. Unauffällig schaute sich Zara um, bevor sie den Zettel herauszog und auffaltete. Die Terroristin stand nun nicht mehr bedrohlich in der Mitte des Raums, sondern hatte sich auf einen kleinen, verschiebbaren Aktenschrank gesetzt und rollte damit kaum merklich hin und her. Flora war inzwischen zu Jannis geschlichen, der ihr auch prompt die nächste Streicheleinheit verpasste. Alle waren froh, den tierischen Gesellen bei sich zu haben.

Flora verhielt sich wie immer und brachte wenigstens etwas Normalität in diese verstörende Situation. Zara hatte den Brief mittlerweile durchgelesen. Die Gewissheit, dass ihrer Freundin bisher nichts zugestoßen war, entlastete sie. Helena eine detailreiche Anleitung zukommen zu lassen, mit der sie den Code knacken konnte, würde zu lange dauern und wäre außerdem viel zu auffällig. Sie musste etwas unternehmen, sonst würden sie noch ewig in diesem Keller festsitzen, vielleicht würden sie sogar noch jemanden, wie Tom, verlieren.

Bei diesem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen und die Angst schoss wieder in ihr hoch. Aber nein! Sie durfte die Angst in sich nicht gewinnen lassen. Sie fasste sich ein Herz und nahm all ihren Mut zusammen. «Was ist eigentlich mit Helena? Irgendwie braucht sie recht lange. Das ist eher untypisch für sie.» «Was geht dich das an, kümmere dich lieber wieder um die Akten!», rief Francis ihr zu, die aus ihrem abgedrifteten Zustand zurückgekehrt war. «Ich kann nicht zulassen, dass meiner besten Freundin irgendetwas passiert.

Vielleicht lügen Sie uns ja die ganze Zeit an und haben überhaupt nicht vor, uns hier jemals wieder lebend rauszulassen. Was weiß ich, was Sie überhaupt planen. Einen Terrorangriff, eine Entführung, einen Mord. Lassen Sie mich zu ihr!» «Das kannst du ganz schnell wieder vergessen, du kleine Giftnelke! Für wen hältst du dich eigentlich, zu denken, du bekommst hier eine Extrawurst, nur weil deine arme kleine Freundin zufällig unsere Hackerin ist. Sie ist die, die wir brauchen. Nicht du!» Francis’ Gesicht war rot angelaufen. Sie fühlte sich sichtlich provoziert.

Und wie aus dem Nichts kam ihr eine Idee, die ihr keines der Kinder und vor allem sie selbst sich niemals zugetraut hätte. Sie sprang von ihrem Platz auf, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Man hörte dumpf zwei Stimmen über ein Walkie-Talkie reden. Einen Moment später betrat Francis auch schon wieder den Raum. Zufrieden grinsend schaute sie in die Runde verängstigter Schüler. Die gefährliche Mischung aus Verzweiflung und Wut in Francis Gesicht hatte sich in wenigen Minuten zu einer geradezu euphorischen Laune gewendet, die allen Schülern eine Gänsehaut verpasste.

Wenige Augenblicke später betrat Pluto den Raum. Ehe die Schüler die Situation realisiert hatten, war er schnurstracks auf Zara zugelaufen und hatte sie am Arm gepackt. «Na dann werden wir deiner Freundin mal einen kleinen Besuch abstatten!» 80 81 V V Es war unweigerlich Toms Silhouette, die Lucia in dem grellen Licht erkannt hatte. «Du?», keuchte sie abermals. «Ich dachte, du wärst tot!» Sie flüsterte zaghaft. «Dieser Türstehertyp hat mir ordentlich eine verpasst und mich dann in diesen Schrank verfrachtet. Weißt du, den großen da, neben der Toilette.»

«Bist du verletzt?», fragte Lucia und deutete auf Toms blutverschmierte Nase. «Geht so», erwiderte er. «Vorhin war es schlimmer. Wie bist du eigentlich entkommen?» «Ich habe ihnen erzählt, dass ich kurz aufs Klo muss. Und sie haben sich echt darauf eingelassen und dann ist die eine mit den kurzen Haaren mit mir gegangen. Auf dem Klo hatte ich dann kurz Panik, weil ich nicht weiterwusste. Sie stand die ganze Zeit vor der Kabine, ich konnte also nichts machen und schon gar nicht abhauen. Ich habe ihr sogar die Tür gegen den Kopf geknallt, aber das hat sie kaum gejuckt.

Und dann ist ja auf einmal der ganze Strom ausgefallen und ich konnte im Dunkeln flüchten. Sie hat mich noch verfolgt, ich konnte mich aber rechtzeitig verstecken und im Dunkeln hat sie mich nicht gesehen.» «Das mit dem Strom war ich.» «Echt? Oh mein Gott, Tom, das war ja voll schlau!» Lucia war begeistert und vergaß für einen Moment, wo sie gerade waren. «Wie hast du …» «Vorsicht!» Lucia konnte ihren Satz nicht beenden. Tom hatte sie am Arm gepackt und hinter die nächstbeste, angelehnte Tür gezogen. Jetzt hörte Lucia sie auch, die Schritte auf dem Flur. Die Schritte kamen näher und näher. Tom und Lucia hielten die Luft an.

Eine falsche Bewegung, und ihr provisorisches Versteck würden auffliegen. Die Schritte blieben drei Meter entfernt von den beiden mitten auf dem Gang stehen. Das Rauschen eines Walkie-Talkies war zu hören. Dann die den beiden nur allzu bekannte Stimme von Francis. «Francis an Pluto, wo zur Hölle bleibst du?» «Ja … sorry … ähm …», Pluto sah sich verwirrt um. «Ich glaub ich habe mich echt verlaufen in diesem beschissen dunklen Gemäuer.

War es jetzt nach der Treppe links oder rechts? Weil, ich bin jetzt schon in beide Richtungen und zurückgelaufen und konnte euch nicht finden. Warte, ich hole schnell die Taschenlampe aus dem Wagen, dann …» «NEIN!», das Walkie-Talkie vibrierte durch Francis lauten Aufschrei und Pluto hielt es mit ausgestrecktem Arm von seinem Gesicht weg. «Du kommst jetzt her, stell dich nicht so an. Wir brauchen JETZT deine Hilfe.

Also bist du an der Treppe?» «Ja … JA.» Pluto räusperte sich und wiederholte seine Antwort mit Nachdruck. «Gut, dann musst du jetzt nur links geradeaus den Gang runter. An der Ecke ist dann das Klo, da biegst du ab und den Gang dann runter geradeaus, ganz hinten sind wir. Kapiert?» «Ja, ok, bekomm ich schon hin, beruhigt dich mal Mädel.» Francis wollte sich noch über seine Zurechtweisung beschweren, doch Pluto unterbrach ihre Gedanken.

«Warum soll ich jetzt eigentlich kommen? Ich dachte, ich soll Wache halten.» «Ja, eigentlich schon, aber das geht auch kurz ohne Wachmann oben. Du musst dieses Mädel Zara zur Hackerin bringen. Setz sie etwas unter Druck. Shannon bekommt das nicht so richtig hin … Naja, die ist ja auch nicht so bedrohlich», murmelte Francis. «Die beiden sind wohl beste Freundinnen, lass dir was einfallen, was den beiden Mädels mal so richtig Angst einjagt und Beißerchen dazu bringt, sich etwas zu beeilen. Ich will, dass diese beschissene Bombe heute noch hochgeht! Die sind ja nicht ewig auf Sendung nachher und wir haben echt nicht mehr allzu viel Zeit! Hans-Werner strolcht übrigens immer noch mit diesem Markus irgendwo rum und einer von uns muss ja hier in der Nähe bleiben, um auf die Kids aufzupassen!»

«Alles klar, wird gemacht, Chefin!» Francis konnte sich nicht die Blöße geben, auch noch vor Pluto zuzugeben, dass ihr eines der Mädchen entwischt war. «Ach so, und wegen dem Wachehalten, ich habe mir von unserem schweigsamen Kollegen da oben die Schlüssel geborgt und hier unten die Treppentür abgesperrt, hier kommt also keiner raus oder rein, ohne, dass wir davon erfahren.» Er lachte schelmisch und begab sich dann mit festem Schritt auf den Weg zu seiner Komplizin.

Erst als Pluto den Gang hinuntergelaufen war, und die Toilette passiert hatte, trauten sich Lucia und Tom, auszuatmen. «Bombe? Auf Sendung?» «Die wollen doch nicht etwa ein Fernsehstudio in die Luft sprengen?» «Was zur Hölle machen wir jetzt bloß?» Lucia war den Tränen nahe. «Wir müssen irgendwie hier raus und Hilfe holen und die Leute warnen!» Lucia und Tom sahen sich an. «Wir kommen hier nicht raus. Hast du nicht gehört, was er am Walkie-Talkie zu Francis gesagt hat? Er hat abgeschlossen.»

Tom legte eine Pause ein und seufzte. «Eins muss man ihm lassen, dumm ist er nicht.» «Und was machen wir jetzt?», fragte Lucia mit Verzweiflung in der Stimme. Einen Moment herrschte absolute Stille. «Die Handys!» kam es wie aus einem Mund geschossen. «Shit, die sind save im Hausmeisterbüro! Wir müssen da irgendwie hin!» «Warte mal, das heißt jetzt, dass dieser Pluto, der dich vorhin zusammengeschlagen hat, mit Zara hier vorbeikommt und wir gleichzeitig aufpassen müssen, nicht von Markus und diesem anderen Terroristen erwischt zu werden.»

«Ganz genau», flüsterte Tom zurück. «Wir warten ab, bis Pluto Zara abgeholt hat und sie zu Helena bringt. So lange haben wir Zeit, unbemerkt an Markus und diesem Hans-Werner vorbei ins Hausmeisterbüro zu kommen, bevor Pluto wieder Wache schiebt.» Tom hatte gerade seinen Satz beendet, da hörten sie in der Ferne Schritte und dazu die immer lauter werdende Stimme von Zara, die sich über irgendetwas aufzuregen schien, während sie mit Pluto den Gang entlanglief.

Tom zog langsam und bedächtig die Tür des Raumes zu, in dem sie sich versteckten, gerade genau so, dass man noch durch einen winzigen Spalt auf den Flur blicken konnte. Tom hielt die Luft an und schielte durch den Türspalt, um genauer die Position von Pluto und Zara sehen zu können. Umso näher die Stimmen kamen und umso lauter die Schritte wurden, desto mehr Angst bekam Lucia. Sie ging langsam von der Tür zurück und drückte sich mit dem Rücken an die Wand hinter der Tür.

«Sicher ist sicher», dachte sie. Tom, der nach wie vor auf dem Boden hockte, gab ihr schließlich ein Handzeichen, dass die beiden nun unmittelbar an ihnen vorbei gingen. Beide hielten die Luft an. Hatte Pluto sie bemerkt? Lucia wurde ganz ungeduldig. Diese Anspannung in ihr, sie konnte es nicht mehr aushalten. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

Vorsichtig flüstert sie: «Sind sie weg?» «Psst, sei nicht so laut!» Tom hockte immer noch am Boden und inspizierte den Flur. Vorsichtig öffnete er die Tür und streckte dann den Kopf hindurch. «Bist du wahnsinnig? Was machst du, komm sofort wieder rein!», zischte Lucia. Wieder begann ihr das Herz bis zum Hals zu schlagen. «Komm, die Luft ist rein, sie alle bei Helena im Raum, das ist unsere Chance!» Er winkte mit der Hand, Lucia sollte ihm folgen, doch diese stand immer noch an der Wand und bewegte sich nicht. «Bist du sicher?»

Ihre Stimme zitterte. «Ja, komm schnell, wir haben nicht viel Zeit, schnell!» Tom streckte seine Hand nach Lucia aus. Nach einem kurzen Zögern griff Lucia Toms Hand, dieser warf einen letzten prüfenden Blick auf den Flur. Alles ruhig, niemand war zu sehen oder zu hören. Die beiden hasteten so leise, wie es nur ging, durch die langen Flure des Gewölbekellers. «Vorsicht!», zischte Tom, der Lucia gerade noch so zur Seite ziehen konnte, bevor diese fast über die Teile eines Projektorkabels auf dem Boden gestolpert wäre.

Kurz vor dem Hausmeisterbüro blieben sie plötzlich wie angewurzelt stehen. Sie hörten Stimmen, die aus einiger Entfernung durch den Keller hallten. Hans-Werner und Markus schienen den Hauswirtschaftsraum gerade verlassen zu haben und sich auf den Rückweg zu begeben. Der Schreck stand Lucia ins Gesicht geschrieben. Sie wollte sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn die beiden sie hier auf frischer Tat ertappten. Oder noch schlimmer, sie von Pluto überrascht würden.

Dann wäre es endgültig aus und vorbei mit allen von ihnen. Tom musste das Gleiche gedacht haben. Bei dem Gedanken an den gedrungenen Mann, der ihn vorhin bewusstlos geschlagen hatte, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Ein Zittern durchfuhr ihn. Auf einmal verstummten die entfernten Stimmen der zwei Männer. Stattdessen war ein leises Schluchzen zu hören. Es hörte sich zu dumpf an, als dass es aus dem Flur direkt neben ihnen kommen konnte.

Markus und Hans-Werner mussten auf dem Weg zu ihnen sein. Tom und Lucia gaben sich ein Blicksignal. Vorsichtig schaute Tom um die Ecke in den leeren Gang. Lucia folgte Toms Handgeste und sie schlich ihm hinterher weiter auf das Büro zu. Geschafft. Gerade noch rechtzeitig, denn der Lautstärke der Stimmen nach zu urteilen, kamen die beiden immer näher. Siegessicher packte Tom die Türklinke und drückte sie vorsichtig runter.

Nichts tat sich. Nochmal, diesmal etwas kräftiger. «Nein, verdammt, die ist abgeschlossen!» «Lass mich mal!» Lucia schob sich an Tom vorbei und drückte die Klinke. Vergeblich. «Was machen wir jetzt? Sie werden uns finden! Und raus kommen wir hier auch nicht! Verdammt, oh Gott, das wars, wir sind so tot. Jap, genau, sie werden uns umbringen! Oh Mama, bitte, ich will einfach nach Hause!» Lucia wurde panisch. «Ruhig, sei ruhig, sonst hören sie uns noch und dann ist es noch schneller aus!» Tom fasste Lucia an den Schultern und dachte dabei angestrengt nach.

«Nein, wir geben jetzt nicht auf! Wir … wir … wir knacken das Schloss! Ja genau, wir bekommen diese Tür schon auf!» Zuversichtlich und mit neu gewonnenem Mut lief er zur Ecke und warf einen Blick in den Gang. Noch war niemand zu sehen. Hans-Werner und Markus schienen es nicht gerade eilig zu haben. Und Pluto? Der war allem Anschein nach noch beschäftigt. «Ok, das heißt, wir haben vielleicht ein paar Minuten, bis sie hier lang kommen. Hoffen wir mal, dass Pluto beschäftigt bleibt.»

Lucia kam Toms schnellen Gedankengängen gar nicht hinterher. «Du willst das Schloss knacken? Wie denn? Hast du das schon mal gemacht?», flüsterte sie misstrauisch. «Nein, noch nie, aber so schwer kann das nicht sein. Außerdem ist das Gebäude alt, also wird das sicher kein neues Spezialschloss sein und außerdem …», er stockte kurz, «fällt dir was Besseres ein?» Lucia schüttelte den Kopf. «Ok, dann … ähm … geh du an die Ecke Wache halten und wenn jemand kommt, dann verstecken wir uns da hinten im Gang. Und … ähm, Werkzeug. Ich brauche Werkzeug!» Suchend sah sich Tom um.

Dann fiel sein Blick auf Lucia, die verängstigt in der Ecke hockte und den Flur beobachtete. «Eine Haarspange! Hast du eine Haarspange?» Ganz aufgeregt war Tom aufgesprungen und zu Lucia, die Schritte entfernte verdattert guckend saß, gelaufen. «Ja klar habe ich eine Haarklammer.» Sie löste ihre Schleife und überreichte Tom eine goldene Haarklammer mit einer Perle an einem Ende.

 «Aber Tom, das wird niemals funktionieren, du guckst zu viele Filme! Komm, jetzt können wir noch zu Toilette laufen und uns da verstecken oder irgendwo anders. Tom, bitte! Komm!» Ihr Mut hatte sie verlassen. «Mag sein, dass das in Filmen auch immer so gemacht wird, aber ich habe auch mal gesehen, dass man …», er begann mit der Spange im Schloss herumzupopeln und verrenkte sich dabei fast, «dass man bei solchen Schlössern relativ leicht die Sperrstift entriegeln kann.»

Einen Moment herrschte Stille. «Ich habs gleich», flüsterte Tom angestrengt. «Beeil dich, sie kommen gleich um die Kurve, ich höre sie!» Lucia kauerte sich noch mehr zusammen. «Ich habs!» Und tatsächlich, die Tür sprang mit einem leisen Klacken auf. Lucia sprang voller Erstaunen auf und umarmte Tom. Lucia voran betraten die beiden das Büro des Hausmeisters. Leise schloss Tom die Tür hinter ihnen. Hier waren sie erst einmal sicher.

«Wo ist denn nur diese Kiste, wo er unsere Handys reingelegt hat?» «Da vorne auf dem Tisch», antwortete Lucia. Die beiden stürzten nach vorn in Richtung Schreibtisch. Tom schaltete sein Handy ein. «Nein, neiiin man!» Lucia hatte Tom noch nie so verzweifelt fluchen gehört. «Wir haben kein Netz! Absolute Funkstille!»

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